Sie haben bestimmt schon von der Januar-Regel an den Börsen gehört: „Wie der Januar, so das gesamte Jahr.“ Im Internet kursieren derzeit wieder diverse Betrachtungen zu dieser Regel. Weil der Januar an den US-Börsen mit Verlusten zwischen 1,7 % und 5,4 % zu Ende ging, wird nun vielfach auch ein schwarzes Börsenjahr 2014 beschworen.
Die Januar-Regel funktioniert – auf den ersten Blick
Doch gemach: Lassen Sie sich davon nicht verunsichern. Schauen Sie erst einmal mit mir genauer hin. Denn leider ist diese Regel nicht aussagefähig. Sie lässt wesentliche Aspekte, die für Anleger relevant sind, außer Acht. Daher wollen wir diese Regel heute mal genauer unter die Lupe zu nehmen. (Weil diese Regel ursprünglich aus den USA stammt, beschränke ich mich hier auch auf die US-Indizes.)
Die allgemeine Einschätzung ist: Die Januar-Regel funktioniert. Das zeigt folgende Grafik, die das Ergebnis dieser Regel für die drei größten US-Indizes mit der längsten Kurshistorie darstellt – dem S&P 500 (inkl. seiner Vorläufer) seit 1790, dem Dow Jones Industrial Average seit 1897 und dem NASDAQ Composite seit 1938.
Statistisch gesehen ist das in der Tat ein eindrucksvolles Ergebnis. Mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei zu eins bis drei zu eins ist der Januar tatsächlich ein Hinweis auf das Jahresendergebnis. Und es kommt sogar noch besser: Gleicht man die Betrachtungszeiträume für den S&P 500 und den Dow Jones mit dem des NASDAQ an (ab 1938), ergeben sich für diese beiden Indizes Werte von 78 % bzw. 82 % für die Januar-Regel. Im Dow Jones steigt die Wahrscheinlichkeit damit sogar auf vier zu eins! (Wegen der besseren Vergleichbarkeit erfolgen daher die folgenden Angaben für alle Indizes ab 1938.)
Gilt das auch für einen negativen Jahresauftakt?
Wenn man bedenkt, dass im Januar erst ein Zwölftel oder rund 8,3 % des Gesamtjahres vorüber sind, scheint diese Regel tatsächlich eine Möglichkeit zur Performancesteigerung zu bieten. Allerdings unterschiedet dieses Ergebnis nicht zwischen positiven und negativen Kursbewegungen. Das Jahr 2014 begann aber, wie gesagt, mit einem Verlust. Wie verhält sich also die Januar-Regel in Hausse- und Baissephasen? Dazu die folgende Grafik:
Hier erkennen wir schon deutliche Unterschiede. Positive Kurse im Januar ziehen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einen positiven Jahresausgang nach sich – die Werte liegen für alle Indizes über 80 %. Das ist durchaus logisch, denn die Indizes sind seit 1938 bekanntlich deutlich gestiegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass nach einem positiven Januar auch das Gesamtjahr im Plus schließt, ist also „naturgemäß“ entsprechend höher.
Bei einem negativen Jahresauftakt ist das nicht der Fall. Diese Zahlen nähern sich teilweise bedenklich der 50%-Marke (blaue Linie). Und eine 50%ige Wahrscheinlichkeit bedeutet nichts anderes, als dass Sie auch einfach eine Münze werfen können. Wir wollen aus der Regel aber Kapital schlagen!
Aber eine Börsenregel nützt ja nur etwas, wenn man daraus Kapital schlagen kann – also Gewinne erzielt oder Verluste verhindert. Doch kann das mit der Januar-Regel überhaupt funktionieren? Sie lautet ja: „Wie der Januar, so das gesamte Jahr.“ Was bedeutet das genau? Wenn der Januar 1 % Kursverlust/-gewinn bringt, sind es dann aufs Jahr gesehen 12 %, also jeden Monat ein Prozent Verlust/Gewinn? Natürlich nicht. Diese eigentlich recht schwammige Regel lässt genauso zu, dass das Jahr nach -5 % im Januar mit einem Minus von z.B. 0,5 % schließt. Von Februar bis Dezember würden die Kurse also um 4,7 % steigen! Umgekehrt könnte es bei einem positiven Jahresstart aussehen.
Das ist aber für uns als Anleger nicht von Bedeutung. Wir wollen entweder auf steigende Kurse setzen (bei positivem Januar) oder unser Depot gegen weiter fallende Kurse absichern (bei negativem Januar).
Da wir ins laufende Jahr mit einem Minus gestartet sind, ist also die Absicherungsvariante relevant. Dabei geht es natürlich nicht um ein, zwei oder drei Prozent an Verlusten, die hinzukommen, sondern um einen kräftigeren Einbruch. (Im Prinzip gilt die gleiche Überlegung natürlich bei positivem Jahresauftakt; dann natürlich unter dem Blickwinkel üppiger Neuinvestments ab Februar.)
Ein ernüchterndes Ergebnis
Wir müssen also die Statistik noch einmal bemühen und fragen, in wie vielen Fällen nach einem negativen (positiven) Januar ein weiterer Einbruch (Anstieg) von z.B. 10 % oder mehr bis zum Jahresende auftrat. Sie ahnen es nach den bisherigen Ausführungen vermutlich schon – das Ergebnis ist ernüchternd (siehe folgende Grafik).
Selbst nach einem positiven Januar bleibt außer im S&P 500 faktisch kaum eine statistisch relevante Wahrscheinlichkeit für einen kräftigen Kursgewinn übrig. (Natürlich erhöhen sich die Werte etwas, wenn man sich mit weniger, z.B. 5 %, Kursgewinn begnügt.)
Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass nach einem schwachen Januar das Jahr mit noch stärkeren Verlusten endet, ist hingegen so gering, dass man fast schon auf das Gegenteil setzen müsste... Lassen Sie sich nicht verunsichern!
Der Grund hierfür ist eigentlich ebenfalls logisch: Es werden quasi willkürlich zwei beliebige Zeitpunkte des Jahres herausgegriffen. Natürlich ist es im Jahresverlauf durchaus möglich, dass sich der im Januar begonnene Kursverlust ausweitet. Aber dann kommt es eben auch sehr häufig zu einer nachfolgenden Erholung.
Lassen Sie sich also nicht von Kommentaren verunsichern, die mit Blick auf die Januar-Regel den Teufel an die Wand malen. Natürlich existieren zweifellos Risiken für die Aktienmärkte. Aber diese sind meist unabhängig von der Jahreszeit. Außerdem hält auch das Jahr 2014 sicherlich etliche Chancen bereit. Sie sollten sich also eher darauf konzentrieren, diese zu nutzen.
Torsten Ewert